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In einer Viertelstunde alles erreichen, was man für das tägliche Leben braucht: Lebensmittelhandel, Schulen, Kitas, Ärzte, Parks und Sportplätze. Ohne Auto, dafür mit dem Rad, zu Fuß oder mit dem öffentlichen Nahverkehr
Die sogenannte ,,15-Minuten-Stadt"
Die sogenannte ,,15-Minuten-Stadt"
Das Fahrrad wird zukünftig eine immer wichtigere Rolle im städtischen Leben spielen. Bild: Halfpoint-stock.adobe.com

Das ist die simple Idee hinter der 15-Minuten-Stadt. Und gerade weil dieses anschauliche Leitbild im Kontrast zu vielen anderen akademischen Stadtkonzepten steht, ist die ,,15-Minuten-Stadt" schwer in Mode. Dabei ist die Idee nicht neu. Bereits seit den 1980er-Jahren kursieren Konzepte wie die ,,Stadt der kurzen Wege“ oder „Compact Cities". Sie gelten als Gegenbewegungen zu dem Leitbild, das zuvor dominierte: die funktionelle Stadt, entwickelt 1933 und festgeschrieben vom Architekten Le Corbusier in der „Charta von Athen". Ihr Ziel war eine Funktionstrennung: Arbeiten und Wohnen sollten an unterschiedlichen Orten stattfinden und durch gut ausgebaute Straßen miteinander verbunden sein. Die Effekte sehen wir bis heute. Große Autobahnen, die die Städte durchziehen, riesige Parkplätze im öffentlichen Raum, alltägliche Rushhours, die vom Speckgürteln in die Innenstadt und zurück stauen.

Was heißt Radweg auf Französisch? Die Pariser haben jetzt jedenfalls viel davon

Veränderungen in der Stadtplanung brauchen lange, bis sie wirken. Bereits 2007 schrieb die EU in der ,,Leipzig-Charta" die Neuausrichtung der Stadtentwicklung fest. Grün, gerecht und produktiv soll sie sein, so steht es in ihrer Weiterentwicklung, der „Neuen Leipzig-Charta" von 2020. Heute bringt die ,,15-Minuten-Stadt" diese Ausrichtung auf den Punkt: Wenn die einzelnen Quartiere die Bedürfnisse des Alltags abdecken können, dann haben die Bewohner mehr Zeit, die Stadtplaner mehr Platz abseits der Straßen, und es gibt weniger Lärm, Emissionen und Abgase in der Stadt.

Welche Bedeutung der Umbau zu funktionierenden Quartieren haben kann, zeigte sich während der Pandemie. Wer krank war, kranke Menschen versorgte oder in der Quarantäne festsaß, war für eine gut ausgebaute Nahversorgung dankbar. Paris zählt zu den Pionieren der 15-Minuten-Stadt. Zwischen 2010 und 2018 ist die Zahl der täglichen Fahrten in dem Ballungsgebiet Île-de-France mit dem Fahrrad um 30 Prozent gestiegen, was auch der Bürgermeisterin Anne Hidalgo zugeschrieben wird. Während der Pandemie wurden 50 Kilometer Radwege ausgebaut, bis zu den Olympischen Spielen 2024 soll jede Straße in der französischen Hauptstadt eine Radspur haben. Außerdem sollen 60.000 Straßenparkplätze aus dem öffentlichen Raum verschwinden und stattdessen Grünoder Freiflächen entstehen, auf denen die Bürger explizit zum Gärtnern eingeladen sind.

Schon seit 2016 sind in einigen Pariser Quartieren die Straßen an Sonn- und Feiertagen für den motorisierten Verkehr gesperrt. In vier Bezirken ist der erste Sonntag im Monat autofrei, an einem Tag im Jahr sogar die ganze Stadt. Und wie sieht es in Deutschland aus? Die ,,15-Minuten-Stadt" ist in den dicht bebauten Innenstädten bereits vielerorts Realität. So etwa in kleineren Städten wie Jena, Landau oder Weimar, wo dies auch ganz offensichtlich ist. Auch in Großstädten wie Berlin oder Hamburg sind die Alltagsziele zu Fuß, mit dem Rad oder ÖPNV selten weiter als 15 Minuten entfernt. Aber nicht überall. In den Außenbereichen der Städte sieht das ganz anders aus und die „15-Minuten-Stadt" ist bis heute kaum umgesetzt. Der Plan muss sein, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen, Sharing-Angebote auszuweiten und Fuß- und Radwege sicherer zu gestalten. Außerdem sollen mithilfe von Wirtschaftsförderungen Anreize für die Einrichtung von Kitas, Arztpraxen, Sportangeboten oder den Einzelhandel geschaffen werden.

Die Kehrseite der Medaille

Eine echte Kehrseite des Konzepts gibt es auch: Wo der Verkehr beruhigt und die Nahversorgung gut ist, da steigen oft die Mieten. Das ist bereits in entsprechenden Immobilienanzeigen abzulesen. Ist die ,,15-Minuten-Stadt" also nur ein weiterer Hebel für Gentrifizierung? Viele Experten wollen das nicht ausschließen. Aber: Es wäre ja auch keine Option, die Stadt laut und dreckig zu lassen. Gegen Gentrifizierung würden nur entschlossene wohnungspolitische Maßnahmen wie sozialer Wohnungsbau helfen. Und gegen die ,,15-MinutenStadt" als Preistreiber nur eine flächendeckende Umsetzung. Doch selbst in den teuren urbanen Vierteln sind die Widerstände gegen verkehrsberuhigte Zonen enorm groß.

Das zeigt etwa der zähe Streit um die Sperrung eines Teilstücks der Friedrichstraße in Berlin-Mitte. Und auch bei der Umsetzung des Projekts „Ottensen macht Platz" wurde das beobachtet. Der urbane, wohlhabende Stadtteil im Westen von Hamburg war zwischen September 2019 und Ende Januar 2020 weitgehend autofrei. Darüber und über die langfristige Sperrung zweier zentraler Verkehrsachsen für den Autoverkehr gab und gibt es bis heute Streit in den sozialen Medien. Die Mehrheit der Anwohner wollte diesen Umbau, für einige war es schwer, jahrzehntealte Gewissheiten wie ,,Ich darf mein Auto überallhin fahren und kostenlos parken" aufzugeben. Es kann also viele Jahre dauern, bis solche Maßnahmen eine breite Zustimmung bekommen. Solche lokalen Beispiele zeigen deutlich, wie viel schneller eine ,,15-Minuten-Stadt" ausgerufen als umgesetzt ist. Verwaltungsdogmen wie etwa die Straßenverkehrsordnung, die den fließenden Verkehr grundsätzlich begünstigt, machen es zusätzlich schwer, autogerechte Stadtstrukturen aufzubrechen - zumal in einem Land mit einflussreicher Autolobby. In den Städten wird sich nur dann etwas verändern, wenn die Menschen das konsequent einfordern und sich selbst als aktiven Teil der Stadt und ihres Viertels begreifen. Die 15-Minuten-Stadt" wird wohl nur Straße für Straße entstehen.

"Eine ,,15-Minuten-Stadt" ist schneller ausgerufen als umgesetzt"

INFO

Interessante Infos zu den Themen „Wohnen in der Zukunft" und moderner, energieeffizienter Architektur von Häusern und Wohnungen gibt es im Internet auf einer Vielzahl von Seiten.